Freitag, 25. Juli 2008

1. Die Entdeckungsgeschichte von Eumenes wagnerianus.

 
Der wissenschaftliche Werdegang des in diesem Buch beschriebenen Insektes, einer solitär lebenden Wespenart aus dem nordöstlichen Südamerika, deren interessante Nestbauwerke aus irdenem Material nicht nur den sie betrachtenden Entomologen bisweilen Kopfzerbrechen bereitet haben, begann im Jahre 1856. In dieser historischen Epoche beschäftigten sich die naturwissenschaftlichen Gelehrten Europas, deren museale Sammlungen eine Flut bisher unbekannter Tier- und Pflanzenarten aus den neuentdeckten und in Besiedlung durch Auswanderer begriffenen Weltregionen zu bewältigen hatten, mit der sytematischen Bestimmung und Klassifizierung dieser Arten, der Erstellung von Bestimmungsschlüsseln und der Herausgabe monumentaler illustrierter Werke zur vergleichenden Tier- und Pflanzenkunde – eine grundlegende naturwissenschaftliche Tätigkeit, die erst gegen Ende des 20ten Jahrhunderts und der weitgehend vollständigen Erfassung der Lebewesen unseres Planeten ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben mag. 


Im Jahre 1856 also faßte der damalige bayrische Regent König Maximilian der II. den Entschluß, den eben von eine Forschungsreise aus Zentralamerika zurückgekehrten Naturwissenschaftler und Mitglied der Münchener Akademie der Wissenschaften, Doktor Moritz Wagner, zu einer erneuten mehrjährigen wissenschaftlichen Reise in diese Weltgegend auszusenden, wobei er sich erhoffte, daß: " ... deren Ergebnisse für die Länder- und Völkerkunde einen wesentlichen Gewinn erwarten lassen und für die Frage der deutschen Auswanderung und Colonisation nützliche Belehrungen bringen könnten". König Maximilian II, von den letzten Reiseberichten Wagners aus Mexiko, Costa Rica und den Antillen beeindruckt, wünschte ursprünglich, daß der Münchener Gelehrte als Teilnehmer der geplanten österreichischen "Novara"-Expedition seine naturwissenschaftlichen Datensammlungen fortsetzen könne und entschloß sich, nachdem dies nicht möglich war, selbst die notwendigen Mittel für die Reise nach Panama zur Verfügung zu stellen, was Dr. Moritz Wagner in seinem 1870 im Stuttgarter Cotta Verlag publizierten Reisebericht zu folgender Lobesrede auf den Regenten veranlaßte: "Auch auf die Regierung Maximilian´s II. wird die dankbare Geschichte deutscher Cultur und Wissenschaft einen dauernden Glorienschein ausstrahlen und der friedliche Lorbeer, der seinen Thron schmückt, wird seinem Andenken segnender bleiben, als aller Kriegsruhm jener fürstlichen "Helden" der Vergangenheit, welche mit Schädelpyramiden und den Flüchen ihrer Völker sich auch ein Denkmal in der Weltgeschichte aufgebaut". 


Moritz Wagner, geboren am 3. Oktober 1813 in Bayreuth und Bruder des Physiologen Rudolf Wagner (*30.6.1805 in Bayreuth – 13.5.1864 in Göttingen) entstammte einer Familie, deren Namen in dieser Epoche von zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten aus Kunst, Verwaltung und Wissenschaft getragen wurde. Seine naturwissenschaftliche Orientierung mag dabei von einem weiteren Namensvetter, dem am 21.3.1797 geborenen Nürnberger Zoologen und Systematiker Andreas Wagner geprägt worden sein. Im Gegensatz zu seinem Bruder, dem Vater des Nationalökonomen Adolf Wagner (*25.3.1835 in Erlangen) und des Geographen und Statistikers Herrmann Wagner (*23.6.1840 in Erlangen) blieb Moritz Wagner kinderlos. Zwischen 1833 und 1836 studierte er in Erlangen und München Naturwissenschaften, bereiste 1836-1838 Algerien und nahm als Mitglied einer wissenschaftlichen Kommission am 2ten Konstantine-Feldzug teil. Nach einem weiteren Aufbaustudium der Geologie in Göttingen bereiste er 1842-46 die Küstenländer des Schwarzen Meeres, den Kaukasus, Armenien, Kurdistan und Persien. Über die Erfahrungen dieser Reise verfaßte er zwischen 1841 und 1850 die wissenschaftlichen Werke: Reisen in die Regentschaft Algier (Leipzig 1841, 3 Bd.) Der Kaukasus und das Land der Kosaken (Leipzig 1842, 2Bd.) Reise nach dem Ararat und dem Hochlande Armenien (Stuttgart 1848) Reise nach Kolchis (Leipzig 1850) und Reise nach Persien und dem Land der Kurden (Stuttgart 1852, 2 Bd.). 


Seine erste Amerikareise führte ihn zusammen mit dem deutschen Gelehrten Dr. Carl Scherzer über die Niagarafälle und die Großen Seen nach Milwaukee und in den Staat Wisconsin, von Stillwater bis nach St. Anthony den Missisippi entlang und zu den Sioux- und Dakota-Indianern weiter über St. Paul und die Bleibergwerke von Galena in den Bundesstaat Missouri, über den Ohio-River, Tennessee, Alabama zum Golf von Mexico in New Orleans und bis nach Louisiana. Sein 1854 in Leipzig erschienenes 3-bändiges Werk "Reisen in Nord-Amerika" birgt interessante Detailzeichnungen des Lebens in dieser Weltregion unter besonderer Berücksichtigung der hier angesiedelten deutschen Auswanderer. Zusammen mit Carl Scherzer verfaßte Dr. Moritz Wagner anschließend die Schrift "Die Republik Costa Rica in Centralamerika mit besonderer Berücksichtigung der Naturverhältnisse und der Frage der deutschen Auswanderung und Colonisation" über seine bis dato letzte Forschungsreise. Die damals noch weitgehende Unerforschtheit der südlich an Costa Rica angrenzenden und zu Neu-Granada bzw. Kolumbien gehörigen Urwaldregion des Isthmus von Panama sowie die Suche nach bzw. die Planungen für den Bau eines interozeanischen Schiffahrtsweges zwischen der Karibik und dem Pazifischen Ozean mögen dann der Anlaß für die erneute Entsendung des Naturwissenschaftlers durch den bayrischen Regenten gewesen sein. Die Erfahrungen und Ergebnisse dieser Forschungsreise, die Dr. Moritz Wagner dann von 1858-59 nach Panama und über dieses Ziel hinaus auch weiter nach Süden bis in das Land Ecuador geführt haben, wo er Geländeerkundungen und botanisch-zoologische Bestandsaufnahmen unter anderem an den Hängen des Vulkanes Cotopaxi durchführte, sind in dem Buch "Naturwissenschaftliche Reisen im tropischen Amerika" niedergeschrieben, das wie bereits oben erwähnt 1870 im Verlag der J.G. Cotta´schen Buchhandlung erschien.



Der wissenschaftliche Werdegang des in diesem Buch beschriebene Der wissenschaftliche Werdegang des in diesem Buch beschriebene

Der wissenschaftliche Werdegang des in diesem Buch beschriebene

Der wissenschaftliche Werdegang des in diesem Buch beschriebene

Untere Abbildung: Portrait des Forschungsreisenden Moritz Wagner. Das Bild entstammt der von Hanno Beck im Jahre 1951 am Fachbereich Philosophie der Universität zu Marburg eingereichten Dissertationsarbeit „Moritz Wagner in der Geschichte der Geographie“ und ist dort ohne Quellenangabe wiedergegeben, so dass das genaue Lebensalter des hier abgebildeten Naturwissenschaftlers zum Zeitpunkt seiner Portraitierung hier leider unbekannt bleibt.



Drei Zielregionen besuchte Wagner in Panama von denen er physisch-geographische Skizzen mit dem Schwerpunkt der Beschreibung der Geologie und Höhenverhältnisse sowie Angaben zu Elementen der Vegetation und der Tierwelt lieferte: Die Gegend um die Stadt Aspinwall (spanisch: Colon) an der Limonbai (Bahia de Limon), den Golf von San Blas am Río Bayano, Río Chepo und Río Mamoni sowie die Provinz Chiriqui, die vom Entdecker Christobal Colon auf dessen letzter Südamerikafahrt mit dem Namen Veragua getauft worden war. Möglicherweise haben das Interesse an der Realisierbarkeit des Kanalbaues und der zukünftigen landwirtschaftlichen Nutzung in Panama heimischer Pflanzen durch künftige Einwanderer aus Deutschland dazu beigetragen, daß sich Dr. Moritz Wagners Naturbeschreibungen und Artenlisten ausführlicher der Geologie und der Vegetation widmen. Einzig die Tier-Ordnung der Fische wird von ihm detaillierter betrachtet, wobei ihn in diesem Zusammenhang die Frage der durch geographische Höhenlinien bedingte Verbreitungsarealtrennung zwischen den zum Pazifik und dem zum Atlantik hin abfließenden Gewässern ihn zu Theoriebildungen bezüglich der Zoogeographie und der Merkmalsevolution im Zusammenhang mit Charles Darwins Evolutionlehre veranlaßte. 



Zwar sind im Reisebericht von zahlreichen Untersuchungsstandorten auch Tierartenlisten vorhanden, doch beschränkt sich Dr. Moritz Wagner dabei hauptsächlich auf die bekannteren und leichter bestimmbaren Wirbeltierarten während seine Angaben zur Entomofauna doch recht unvollständig bleiben. Die umfangreichen zoologischen Sammlungen und Herbare, die Dr. Wagner im Verlauf seiner Reise zusammengetragen haben muß und die teilweise leider wegen den schwierigen Klima- und Transportbedingungen während der Urwaldflußtalbereisungen wieder verlorengingen, beinhalteten aber auch eine "kleine Hymenopteren-Sammlung", wie man auf Seite 550 des Forschungsreiseberichtes nachlesen kann, die er bei seiner Rückkehr nach München dorthin hinüberretten konnte. In dieser Sammlung befand sich auch zumindestens ein Exemplar der später nach Dr. Wagner benannten Wespe. 



Der genaue Platz an dem die in Dr. Moritz Wagner´s Bienen-, Ameisen- und Wespensammlung mitgebrachte und bis dato nicht wissenschaftlich beschriebene Wespenart gelebt hat und gefangen wurde ist aber, da im Buch selbst nicht erwähnt, unbekannt. Hier ist auch unbekannt, ob den von Moritz Wagner an die Entomologien Sichel und Saussure weitergegebenen Hymenopteren einzelne Fundortetiketten beigefügt waren, oder ob die von Saussure 1875 publizierte Fundortangabe "Isthmus von Panama" nach dem ihm bekannten Hauptreiseziel von Wagners Forschungsreise vorgenommen wurde. 



Somit könnte die Wespe auch in Zentralkolumbien oder in Ecuador gelebt haben. Ob Wagner Kolumbien auf dem Landweg durchreist hat oder ob er per Schiff von Panama nach Guayaquil und Quito weiterfuhr, geht aus seinem Reisebericht nicht hervor. So bleibt es theoretisch möglich, daß der Naturkundler das solitäre Insekt auf dem Weg über den Golf von Uraba, Antioquia, Medellin und Cali in Zentralkolumbien fand. Doch bleibt dies sehr unwahrscheinlich, da der landeskundlich interessierte Reisende mit Sicherheit seinem Reisebericht die Schilderungen der durchwanderten, eindrucksvollen kolumbianischen Kordillerenlandschaft beigefügt hätte. 



Auf Hymenopteren, also auf Insekten aus der Ordnung der Hautflügler, nimmt Dr. Wagner nur an zwei weiteren Stellen seines Buches Bezug. Auf Seite 149 findet man einen Bericht vom Angriff eines Hornissenschwarmes (Vespa crabro - ?) auf die Trägerkolonne aus Mozo-Indianern, die die wissenschaftliche Reisegruppe am Mamoni-Fluß begleitete und die letztendlich zur Rebellion der Indianer führte und den Abbruch des weiteren Vordringens in den unwegsamen Urwald erzwang. Auf Seite 108 findet man schließlich die interessante Beschreibung einer symbiotischen Schutzgemeinschaft zwischen 2 Tierarten und einer Pflanze, an der ebenfalls eine Hautflüglerart, nämlich eine unbestimmte, rotgefärbte und giftige Ameisenart teilnimmt. Und zwar handelt es sich dabei um den im Unterholz von Wäldern wachsenden, mit scharfen Dornen versehenen, kleinen Akazienbaum Acacia macracantha HUMBOLDT. Die Ameisenart bewohnt die Hohlräume der großen, büffelhornartigen Dornen der Akazie und fällt bei leichten Erschütterungen des Busches sofort über jeden Verursacher der Störung her. Die Bisse der winzigen Insekten verursachen auf der Haut dessen, der sich zu nahe an Acacia macracantha herangewagt hat, unerträgliche Schmerzen. So vor der Annäherung von Raubtieren und Menschen weitgehend geschützt ist der tropische Busch einer der bevorzugten Nistplätze der wundervollen südamerikanischen Juwelen der Luft – der Kolibris.



Nach seiner Rückkehr nach München legte Dr. Moritz Wagner die mitgebrachte Hymenopteren-Sammlung zwei zeitgenössischen Entomologen mit der Bitte um detaillierte Artbestimmung vor. Es handelte sich dabei um die Zoologen Julius Sichel (1802-1868, Frankfurt) und Henri de Saussure aus Genf. Wie Dr. Moritz Wagner entstammte auch Monsieur Henri de Saussure einer zur damaligen Zeit angesehenen Gelehrtenfamilie. Großvater Horace de Saussure 17.2.1740 - 22.1.1799 studierte in Genf Naturwissenschaften und wurde 1762 in seiner Heimatstadt Professor der Philosophie. Als Mitglied des Schweizer Rates der 200 bestimmte der die Gesetzgebung des Landes mit und bereiste Frankreich, England, Holland, Italien, Sizilien und das Alpen-Gebirge, wo er die Eisfelder bei Chamonix beschrieb und als einer der Ersten den Montblanc bestieg. Dabei führte er Messungen mit selbstentwickelten Hygrometern, Elektrometern und ähnlichen Instrumenten durch. Auch machte er sich einen Namen als Kunstmäzen in seiner Heimatstadt. Henri des Saussures Großvater ist ein Denkmal in Chamonix gewidmet.



Das Denkmal zu Ehren von Horace de Saussure in Chamonix. Mit freundlicher Genehmigung der Internetgemeinde bzw. des Verfassers der entsprechenden Web-Seiten der Freien Internetenzyklopaedie Wikipedia (http://www.wikipedia.com).


Auch der Vater von Henri de Saussure war wiederum Naturwissenschaftler. Nicolas Theodore de Saussure (14.10.1767 - 18.4.1845) lehrte als Professor für Mineralogie und Geologie in Genf. Sein Hauptwerk "Recherches chimiques sur la vegetation" erschien 1804 in Paris und wurde 1805 von Voigt in Leipzig ins Deutsche übertragen. Henri de Saussure (27.11.1829-20.2.1905) selbst nahm von 1854 bis 1856 an einer wissenschaftlichen Expedition nach Mexiko teil und erstellte im Verlauf seines Lebens, in dem er ebenso wie seine Vorfahren der Heimatstadt Genf treu blieb, vielbeachtete Werke der systematischen Zoologie insbesondere über die Geradflügler (ORTHOPTERA / Heuschrecken) und Hautflügler (HYMENOPTERA / Bienen, Wespen, Ameisen).



Der wissenschaftliche Werdegang des in diesem Buch beschriebene

Henri de Saussure. Mit freundlicher Genehmigung der Internetgemeinde bzw. des Verfassers der entsprechenden Web-Seiten der Freien Internetenzyklopaedie Wikipedia (http://www.wikipedia.com).


Zum Zeitpunkt der Rückkehr Moritz Wagners aus Panama und Ecuador arbeitete Henri de Saussure gerade an einer mehrbändigen Systematik der Wespen (Vespidae), die zwischen 1852 und 1856 in 6 Bänden bei Masson in Paris gedruckt und verlegt wurde: 

Etudes sur la Famille des Vespides. Monographie des Guepes solitaires ou de la Tribu des Eumeniens - 1852 

Etudes sur la Famille des Vespides. Monographie des Guepes sociales ou de la Tribu des Vespiens - 1853 

Etudes sur la Famille des Vespides. Monographie des Masariens, Supplement des Eumeniens - 1854 

Etudes sur la Famille des Vespides. Monographie des Guepes sociales ou de la Tribu des Vespiens Part 2 - 1854 

Etudes sur la Famille des Vespides. Monographie des Masariens, Supplement des Eumeniens Part 2 - 1855 

Etudes sur la Famille des Vespides. Monographie des Masariens, Supplement des Eumeniens Part 3 - 1856 


Er war zum damaligen Zeitpunkt damit wohl der beste und vollständigste Kenner der weltweit bekannten Wespenarten und der geeigneteste Fachmann für die Bestimmung der von der Forschungsreise nach Südamerika mitgebrachten Belegexemplare. Für das von Wagner ihm zugesandte und der Wespenfamilie der Eumeniden (HYMENOPTERA: EUMENIDAE), also den solitär oder einzeln und nicht sozial oder staatenbildenden Wespen zuzuordnende Insekt aus Südamerika fand sich aber in den entomologischen Sammlungen des Henri de Saussure damals noch kein entsprechendes Vergleichsmaterial, so daß es sich um eine neue, der Wissenschaft bis dato unbekannte also neu zu beschreibende Tierart handeln mußte, deren endgültige Bestimmung und Neubenennung durch den Genfer Entomologen dann auch noch mehrere Jahre in Anspruch nahm.


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